Kapitel 3

Die Technische Hochschule bis zum Ersten Weltkrieg (1885-1914)

Urkunde des Bayerischen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern über die Ehrenmitgliedschaft Hans Buntes, 23. 10. 1910, Herstellung: Franz Xaver Weinzierl/München, 38,8 × 30,0 × 2,0 cm, Handschrift auf Pergament mit Tuscheminiatur in verziertem Ledereinband mit Messingapplikationen. KIT-Archiv 27055/67. Fotografie: Amadeus Bramsiepe.

Die prachtvoll ausgefertigte Urkunde bezeugt eine der vielen Ehrungen für den Gaschemiker Hans Bunte (1848–1925), der ab 1887 an der Technischen Hochschule Karlsruhe die Professur für Technische Chemie versah. Bunte wirkte auf den Gebieten der Brennstoffchemie und der Feuerungstechnik. Wesentliche Grundlagen der Wärmewirtschaft gehen auf ihn zurück. Im Zentrum seiner Tätigkeit stand die Erzeugung von Gas aus Kohle. Dieser als Leuchtgas oder Stadtgas bezeichnete Energieträger besteht zu ca. 50 Prozent aus Wasserstoff und ca. 20 Prozent aus Methan. Vor der Umstellung auf Erdgas wurde er bis in die 1960er Jahre zunächst für die Beleuchtung und später vor allem zum Heizen eingesetzt. Als seit 1884 amtierender Generalsekretär des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern (DVGW) war Hans Bunte eine Zentralfigur für die Organisation der Gas- und Wasserversorgung in Deutschland. Mit ihm und seinem in der Erdölforschung tätigen Karlsruher Kollegen Carl Engler (1842–1925) beginnt der bis in die Gegenwart des KIT bestehende Schwerpunkt beim Thema Energie. Das frühere Gasinstitut bildet heute einen Teil des Engler-Bunte-Instituts am KIT. Die farbige Tuschezeichnung über dem Urkundentext stellt das auf Betreiben Buntes eingerichtete Gasinstitut dar. Im Jahr 1907 wurde es, angegliedert an die Technische Hochschule Karlsruhe, als die zentrale Lehr- und Versuchsanstalt des DVGW gegründet. Wichtigster Forschungsgegenstand waren die chemischen Prozesse der Gaserzeugung. Seine Lehraufgabe erfüllte das Gasinstitut mit jährlich abgehaltenen Kursen für das Leitungspersonal von Gaswerken in ganz Deutschland. kn

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Fachkommentar

Hans Buntes Wirken für Forschung und technische Entwicklung

In der Publikation Geschichte des Gasinstituts zu dessen 50-jährigem Bestehen charakterisiert Johannes Körting Hans Bunte, dieser habe »an sich eine doppelte Veranlagung empfunden: entweder nach der Forscher- und Lehrtätigkeit oder mehr nach der konstruktiven technischen Seite seine Lebensaufgabe zu suchen«. Die Ehrenmitgliedschaft von Hans Bunte im Bayerischen Verein von Gas- und Wasserfachmännern spiegelt die eine Seite dieser Veranlagung wider: das Streben, durch sein berufliches Handeln die Nutzbarmachung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in der technisch industriellen Praxis und dem Alltagsleben voranzutreiben. Die andere Seite der Veranlagung weckte Hermann von Fehling, bekannt durch die Fehling’schen Lösungen zum quantitativen Nachweis von Aldehydgruppen in Zuckern, dem Hans Bunte bei seinen Studien von 1865 bis 1867 am Polytechnikum in Stuttgart begegnet war. Nach einer kurzen Zeit an der Universität Heidelberg 1868 bei den großen Forscherpersönlichkeiten Bunsen, Kirchhoff, Helmholtz und Erlenmeyer beendete Bunte sein Studium 1869 in Erlangen mit der Promotion bei dem Organiker Gorup-Besánez mit dem selbstgewählten Thema Untersuchungen über Harnstoff und Harnstoffderivate. Eine Motivation zu diesen Untersuchungen lässt sich erraten aus der Rede Buntes anlässlich des Rektoratswechsels der Technischen Hochschule Karlsruhe am 31. Oktober 1896. Hier skizzierte er an zahlreichen Beispielen, wie Entdeckungen in der Chemie die Alltagsprobleme der Menschen lösen und deren Wohlstand vergrößern konnten. So ordnete Bunte die Synthese des Harnstoffs durch Wöhler als den Wegfall der Schranke ein, »welche zwischen der organischen und unorganischen Natur aufgerichtet schien; der Glaube, dass bei den chemischen Vorgängen im Tier- und Pflanzenreich zur Schaffung neuer Gebilde eine besondere Kraft, die Lebenskraft, thätig sei, war gefallen und der chemischen Forschung war die Pforte geöffnet zum Eintritt in das Gebiet der Pflanzen- und Tierphysiologie, der Landwirtschaft und Medicin.« Vermutlich die gleiche Motivation lag Buntes Arbeiten zu Themen aus der organischen Chemie zugrunde, die er an der Polytechnischen Schule München bei seinem akademischen Lehrer aus der Heidelberger Zeit, Erlenmeyer, auf einer »kaum bezahlte[n] Assistentenposition« durchführte. Hier fand er die Salze der S-Alkylester der Thioschwefelsäure. Diese Verbindungsklasse, von denen er das Natriumsalz des S-Ethylesters in seiner Habilitationsschrift 1872 beschrieben hatte, ist unter dem Namen Bunte-Salze in die Literatur eingegangen. Sie sind nützliche Zwischenprodukte bei chemischen Synthesen und zeigen bakteriostatische, insektizide und fungizide Wirksamkeit. Als Privatdozent hielt Bunte Vorlesungen über Teerfarben und insbesondere über analytische Chemie, was zweifellos auch seine wissenschaftliche Arbeitsweise und Methodik geprägt hat. Trotz seiner Erfolge bei der Synthese und seiner Vielseitigkeit in der Lehre erfüllten sich die zum Beginn seiner Laufbahn eröffneten Aussichten nicht, und auch äußere Formen der Anerkennung blieben aus. Man mag dies als einen Anstoß interpretieren, der Bunte die technische Seite seiner Veranlagung wiederentdecken ließ. Den Rahmen hierfür gab die Bekanntschaft mit Nikolaus Heinrich Schilling, der Direktor der Gasbeleuchtungs-Gesellschaft München war und auch Herausgeber des Journals für Gasbeleuchtung und verwandte Beleuchtungsarten, sowie für Wasserversorgung. 1874 gewann er Bunte für die Mitarbeit an der Zeitschrift. Das Journal war auch Organ des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern und seiner Zweigvereine, dem Bunte 1875 beitrat. In enger Zusammenarbeit mit Schilling und später als Leiter der Heizversuchsstation der Münchener Gasbeleuchtungs-Gesellschaft führte Bunte zahlreiche experimentelle Arbeiten durch, die die wissenschaftlichen Grundlagen der Erzeugung von Gas aus Kohle und dessen technischer Verwendung bildeten. Hans Bunte brachte die neuen Erkenntnisse und wissenschaftlichen Grundlagen der Heiztechnik und der Gasindustrie mit Vorlesungen über Brennstoffe, Gasanalyse und Feuerungen am Münchener Polytechnikum erstmals in die deutsche Hochschullehre ein. Aufgrund der fehlenden Anerkennung seiner Arbeiten verließ er 1884 das Münchner Polytechnikum ohne großes Bedauern, um vollends für die Gasindustrie zu arbeiten. Hierzu hatte er schon die Herausgeberschaft des Journals für Gasbeleuchtung übernommen (seit 1876 zusammen mit Schilling, ab 1883 allein), war 1882/83 Vorsitzender des Deutschen Vereins der Gas- und Wasserfachmänner und ab 1885 dessen Generalsekretär. Er behielt diesen Posten bis ins Jahr 1909 und war somit maßgeblicher Motor der intensiven wissenschaftlichtechnischen Entwicklung in der deutschen Gasindustrie. Carl Engler, der in Karlsruhe intensive Forschungen zur Chemie des Erdöls begonnen hatte, bewirkte die Berufung Buntes als seinen Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Chemische Technologie der Technischen Hochschule Karlsruhe. Die fachliche Verbindung zu Engler hergestellt hatten Arbeiten zur Thematik der Schmieröle. Durch die sprunghaft gewachsenen Möglichkeiten in Karlsruhe entfaltete sich Bunte als Hochschullehrer und Organisator. Er führte neue Gesichtspunkte in die Lehre ein, indem er die wirtschaftliche Seite der chemischen Technik betonte. Zum ersten Mal gab er den Studierenden der Chemie Einblicke in die wirtschaftlichen Zusammenhänge und drängte auf die Ausbildung in maschinenbautechnischen Fächern, um ihre Zusammenarbeit mit fachfremden Spezialisten wirkungsvoller zu gestalten. Gemeinsam mit Engler kämpfte er für das Promotionsrecht der technischen Hochschulen. Der Ausbau des Instituts durch Bunte war auch mit der Pflege von Sondergebieten der technischen Chemie verbunden, mit denen die dortige Forschung und Lehre vielseitig wurde. Zeitweise arbeiteten bis zu sieben Privatdozenten bei Bunte. Das Gebiet der Teerfarben, über das er in München selbst Vorlesungen gehalten hatte, wurde diesen jungen Kollegen übertragen und schließlich zur Textilchemie ausgebaut. Gebiete der angewandten physikalischen Chemie und speziell der Elektrochemie vertraute Bunte jungen Mitarbeitern an, insbesondere auch Fritz Haber. Gegenüber seinen jungen und aufstrebenden Kollegen war er kein leichter Lehrmeister. Sein ehemaliger Assistent Ernst Terres erinnert sich: »[E]in lobendes Wort nach einer vollendeten Arbeit fiel selten oder auch nie. Die wortlose Anerkennung des Geleisteten war schon Anerkennung und Lob«. Trotz allem charakterisierte Fritz Haber die Zeit bei Bunte positiv: »Die 13 Jahre bei Bunte waren die schwersten meines Lebens, aber diese Zeit des Werdens, der Hoffnungen und des Aufstieges waren die glücklichsten Jahre meiner beruflichen Laufbahn«. Die Gegebenheiten in Karlsruhe verlangten eine Verlegung der Forschungsarbeiten ins Laboratorium. Durch die fortschreitende Technik traten Probleme der Gasreinigung und der Gasverwendung in den Vordergrund und erforderten immer neue wissenschaftliche Methodiken. Mit dem Anwachsen der Forschungsthemen stiegen auch die Anforderungen. Darauf wurde mit mehrfachen An- und Aufbauten reagiert. So entstand ein Institut vom vielfachen Umfang dessen, was Bunte bei seiner Berufung vorgefunden hatte. Trotz der unglaublichen Dynamik der Entwicklung empfand Bunte, dass für die Untersuchung technischer Prozesse die Laboratoriumsarbeit oft nicht ausreichend war. Andererseits brachte er aus seiner Münchener Zeit die Erfahrung mit, dass technisch-wissenschaftliche Untersuchungen im laufenden Betrieb eines zum wirtschaftlichen Arbeiten gezwungenen Unternehmens nur begrenzt möglich waren. Seine Idee war daher eine besondere Versuchsanstalt, die er nach jahrelanger Vorbereitung, in der er selbst auch die hauptsächliche finanzielle Grundlage schuf, 1907 als die an die Technische Hochschule Karlsruhe angegliederte, später als Gasinstitut bezeichnete Lehr- und Versuchsgasanstalt des deutschen Vereins der Gas- und Wasserfachmänner begründete. Damit hatte die Leuchtgasindustrie eine Forschungsanstalt, wie sie in dieser Art keine andere Industrie besaß. Die vielen weiteren Facetten der Persönlichkeit Hans Buntes als geheimer Hofrat, Abgeordneter der ersten Kammer der badischen Ständeversammlung und Mitglied der Leopoldina sowie die Etablierung der sogenannten Gaskurse können hier nur angedeutet werden. Diese Merkmale sind am besten durch Körting zusammengefasst: »Daß er schließlich bei dieser [doppelten] Veranlagung einer der ersten und besten wurde, der die Synthese beider Arbeitsgebiete in einer bis dahin nicht gekannten Form vollenden konnte, daß er vielleicht der erste Chemie-Ingenieur nach dem heute gültigen Ideal war, ist ein Glück für ihn und mehr noch für das ganze Gasfach gewesen«. Henning Bockhorn

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