Kapitel 2

Die Polytechnische Schule (1825-1885)

Ferdinand Redtenbacher: Hohentwiel bei Singen, 41,7,5 × 32,9 x 3,3 cm, Ölgemälde auf Pappe. KIT-Archiv 28501/18. Fotografie: Amadeus Bramsiepe.

Das Gemälde des Hohentwiel stammt von Ferdinand Redtenbacher (1809–1863). Dieser lehrte an der Polytechnischen Schule Karlsruhe Maschinenbau und stand ihr von 1857 bis 1863 als Direktor vor. Auf sein Engagement geht die Einrichtung der Mechanisch-Technischen Fachschule im Jahr 1847 zurück, aus der die KIT-Fakultät für Maschinenbau hervorging. Das von Redtenbacher geprägte Lehrprogramm machte die Polytechnische Schule um 1850 zum Magneten für Schüler aus ganz Europa und darüber hinaus. Wichtige Bestandteile von Redtenbachers Lehre waren eine breite mathematische Ausbildung sowie die Anschauung grundlegender Konstruktionsformen durch eine Modellsammlung und aussagekräftige Tafelbilder im Rahmen der Vorlesungen. Neben den Fachinhalten lag Redtenbacher »die Cultur des industriellen Publikums im Allgemeinen am Herzen«. Damit ging es ihm um eine verbesserte gesellschaftliche Position der Ingenieure. In diesem Zusammenhang ist es zu sehen, dass auf dem Lehrplan der Karlsruher Ingenieure auch Vorlesungen über Geschichte und Literatur standen. Diese Seite des Lehrprogramms wurde unterstützt durch das Interesse des langjährigen Direktors Redtenbacher an Philosophie, Literatur und der von ihm selbst gepflegten Malerei. Ein Beleg für Letzteres ist das von Redtenbachers Hand stammende Gemälde des Hohentwiel bei Singen. Die Burg auf diesem Berg ist ein Handlungsort des 1855 erschienenen historischen Romans Ekkehard von Victor von Scheffel. Nach der Handschrift auf der Rahmenrückseite wurde der Maschinenbaupionier von diesem literarischen Werk inspiriert. kn

Bilder

Fachkommentar

Redtenbachers Wirken im geistesgeschichtlichen Kontext

Ferdinand J. Redtenbacher arbeitete intensiv an der Theorie des Maschinenbaus, wie sein Werkverzeichnis zeigt. Das hohe Niveau seiner Techniktheorie brachte ihm den speziellen Titel »Begründer des wissenschaftlichen Maschinenbaus« ein. Diese Theorieentwicklung der Maschinentechnik als Wissenschaft, mit dezidiertem Innovationscharakter, erweckt auch die Frage nach seinem grundlegenden wissenschaftstheoretischen Denken, da es möglicherweise auch relevant für seine Techniktheorie gewesen sein könnte. Diesbezüglich verweisen biografische Quellen darauf, dass er bereits in seiner Studienzeit in Wien, als noch nicht einmal 20-Jähriger, intensives Interesse an der damals aktuellen Philosophie hatte. Die neuesten Werke von Immanuel Kant standen zu dieser Zeit allerdings auf dem Index der verbotenen Bücher. Das hielt Redtenbacher und einen Kreis um ihn nicht davon ab, sich diese zu besorgen und im Geheimen zu studieren – eine Tat, die mit massiver Gefängnisstrafe bedroht war. Biografische Notizen erweisen, dass er Philosophie, insbesondere jene der Aufklärung, über all die Jahre bis zu seinem Lebensende studiert hat. Die Schriften der zeitgenössischen Aufklärungsphilosophen haben ihn nicht nur fasziniert, sondern dürften wohl auch in sein reflexives Denken eingeflossen sein. Redtenbachers Affinität zur damals brandaktuellen und auf Paradigmenänderung abzielenden Philosophie Kants, signifikant grundgelegt durch die Aufforderungen, sich seines »eigenen Verstandes zu bedienen« und sich aus »seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit« zu befreien, erlaubt den Schluss, dass er diesen Denkansatz auch auf angewandte Verfahren wie die Technik übertrug. Die Fassung von Erfahrungswissen in einem auf Basis apriorischer Denkformen ausgeführten, theoretischen Wissenschaftssystem ist nämlich ein zentraler Aspekt der Aufklärung. Es gibt Hinweise, dass sich Redtenbacher auch mit Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie, mit deren Zentrierung auf philosophisches Grundwissen, befasst hat. Redtenbachers Karlsruher Konzeption zeigt, dass er in das Studium der Technik, speziell des Maschinenbaus, sowohl die Philosophie als auch andere geisteswissenschaftliche Fächer integrierte. Diese Lehrinhalte belegen sein grundlegendes Interesse an der Gesellschaft, wie es im überlieferten Zitat auf den Punkt gebracht wird, dass nämlich seine »Bestrebungen als Lehrer […] nicht allein auf die wissenschaftliche Theorie der Maschine« ausgerichtet sind, sondern ihm »die Cultur des industriellen Publikums im Allgemeinen am Herzen« liegt. Redtenbachers humanistische Geisteshaltung lässt sich darüber hinaus auch in ethischen und gesellschaftstheoretischen Äußerungen verfolgen, wenn er beispielsweise den fehlenden »humanen Standpunkt« der »industriellen Thätigkeit« beklagt. Darüber hinaus steht die Aufklärung für markante gesellschaftliche Umbrüche bis hin zu gesellschaftlichen Revolutionen in vielen Ländern dieser Zeit. Infolgedessen konstituierte sich der Versuch der demokratischen Neuordnung mit der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, in die Ferdinand Redtenbacher — wohl wegen dessen Gesinnung — seitens seiner Heimatstadt Steyr delegiert werden sollte. Redtenbacher nahm diese Entsendung allerdings nicht an. Schon diese spärlichen Hinweise zeigen, dass sich der intellektuell hochbegabte Redtenbacher sehr umfassend der wissenschaftstheoretischen Reflexion dieser auch philosophischen sowie gesellschaftlichen Achsenzeit stellte und sie in seinem Fach innovativ zur Geltung brachte. Treffend fokussiert findet man wohl Redtenbachers philosophisch inspirierte Denkweise über die Priorität der menschlichen Vernunft und sich damit gegen ein bloß empiristisch-mechanistisches Verständnis des Wissens erklärend, in dem auf einem Portraitdruck überlieferten Zitat: »Ueberall, wo sich etwas regt, ist Mechanik im Spiel; aber die Geister regen sich nicht durch die Mechanik«. Enrico Savio

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