Speichermatrix (links) und Eingabeeinheit (rechts) der Lernmatrix zur automatischen Zeichenerkennung, Hersteller: Institut für Nachrichtenverarbeitung und Nachrichtenübertragung der Technischen Hochschule Karlsruhe, zwei Einheiten von je ca. 80 × 112× 30 cm. KIT, Institut für Technik der Informationsverarbeitung. Bildrechte: Karlsruher Institut für Technologie.
Am Institut des Informatik-Pioniers Karl Steinbuch (1917–2005) entstand bis 1960 die Lernmatrix. Das hier gezeigte Gerät ist das seinerzeit gebaute Demonstrationsmodell. Das Leuchtdisplay konnte Schriftzeichen darstellen, und die per Hand davor gehängte Leseeinheit registrierte sie. Per Tastendruck ließ sich eine Verknüpfung zwischen dem angezeigten Muster und einem Zeichen aus dem in der Lernmatrix angelegten Zeichenbestand herstellen. Der Verknüpfung im Gerät musste also eine menschliche Entscheidung dazu vorausgehen. Die so eingestellte Zeichenerkennung konnte dann ohne weitere Eingriffe von dem System reproduziert werden. Das war die innovative Leistung der Lernmatrix. Indem in ihrem Namen mit dem Lernen eine gemeinhin als spezifisch menschlich verstandene Fähigkeit behauptet wurde, erregte die Lernmatrix nicht nur große Aufmerksamkeit, sondern sie provozierte auch Sorgen. Ihre Entwicklung war Anstoß dafür, dass man bereits in den frühen 1960er Jahren an der Technischen Hochschule Karlsruhe den damals auch schon wörtlich erscheinenden Begriff der Künstlichen Intelligenz diskutierte. An dieser teils kontrovers geführten Auseinandersetzung beteiligten sich nicht nur Ingenieure und Naturwissenschaftler, sondern auch Philosophen. Man sprach von der Karlsruher Schule der Technikphilosophie. Die Gründung der Karlsruher Fakultät für Informatik im Jahr 1972 fußt zu einem wesentlichen Teil auf den Aktivitäten an dem von Steinbuch ab 1958 geleiteten Institut für Nachrichtentechnik und Nachrichtenübertragung. Heute besteht es am KIT unter dem Namen Institut für Technik der Informationsverarbeitung. Die andere zur KIT-Fakultät für Informatik führende Entwicklungslinie begann im Institut für Angewandte Mathematik, das beim Computerbetrieb früh mit dem Kernforschungszentrum zusammengearbeitet und auch das Rechenzentrum der Technischen Hochschule gegründet hatte. kn
Die Erfolge mit den ersten Anwendungen der damals neuen elektronischen Rechenautomaten hatten Assoziationen mit menschlichen Fähigkeiten hervorgerufen (Elektronengehirn). Das ergab weltweit Impulse zur Forschung und Weiterentwicklung der biologischen Nervenfunktion mit Mitteln der Nachrichtentechnik. Wie funktioniert die Sinneswahrnehmung des Menschen? Es war bereits klar, dass Nerven ihre Erregung durch elektrische Signale weiterleiten und das zentrale Nervensystem eine Vielzahl von Verknüpfungen aufweist, vor allem im Gehirn. Also versuchte man, dies als Grundlage zu nehmen und in Automaten Mechanismen zu realisieren, die biologische Funktionen nachbilden. Lange bekannt waren Reflexe als einfache Körperfunktionen, besonders der bedingte Reflex nach Pawlow, der gezeigt hatte, dass bei Hunden der Reflex »Magensaftabsonderung durch Futterreiz« auch ohne Futter durch einen Glockenton ausgelöst werden kann, wenn vorher mehrfach das Futterangebot mit einem solchen Ton verbunden worden war. Das sieht aus, als könne der Hund eine solche Zuordnung lernen. Offenbar kann das höhere Nervensystem in Tierorganismen derartige Zuordnungen speichern. Karl Steinbuch schlug nach diesem Vorbild einen adaptiven Zuordner vor und nannte ihn Lernmatrix. Er besteht aus einem matrixförmigen Feld von Verknüpfungspunkten, in denen Zuordnungen von Spalten und Zeilen gespeichert werden können. Das hier gezeigte Modell sollte das in einfachster Form veranschaulichen. Sein Kern ist eine Relaismatrix, hier aus zehn Zeilen und 20 Spalten. Das zweite Tafelgerät dient der Erzeugung von Eingabe- bzw. Anzeigesignalen, die hier Ereignisse genannt werden. Eigentlich sind diese Signale völlig gleichwertig, doch werden sie hier in fünf Zeilen mit je vier Spalten angeordnet, damit sich angenähert die fünf großen und kleinen Vokale des Alphabets mithilfe von 20 Lichtpunkten darstellen lassen. Ein Abtaster mit 20 entsprechend angeordneten Fotozellen erzeugt die 20 Spaltensignale hell oder dunkel, das heißt 1 oder 0, die der Lernmatrix zunächst in der sogenannten Lernphase zugeführt werden. Der Abtaster dient dabei also als »Auge«. Wählt man eine der zehn Zeilen als »Bedeutung« aus und führt nun einen »Lernschritt« aus, das heißt, man gibt ein Speichersignal für die selbsthaltenden Relais ein, wird das Ereignismuster mit der ausgewählten Bedeutung verknüpft. Dies lässt sich für alle zehn Ereignismuster durchführen. In der sogenannten Kannphase geht man davon aus, dass die Lernphase stattgefunden hat, alle Ereignismuster also entsprechend in den Relaiszuständen gespeichert sind. Wird nun wieder ein Ereignismuster angeboten, erzeugen die Relais für jede Zeile ein Ausgangssignal, das in der Zeile mit der besten Übereinstimmung einen maximalen Wert erreicht. Eine Extremwertentscheidung kann diesen Maximalwert erkennen und so die entsprechende »Bedeutung« als Ausgabe anzeigen, die der Ereigniseingabe entspricht. Durch eine entsprechende Wahl der Extremwertentscheidung lassen sich zu jedem Ereignismuster auch solche Muster anzeigen, die einzelne Fehler enthalten. In der Kannphase werden dann gleiche oder ähnlichste Ereignisse wie in der Lernphase angezeigt. Man kann auch mehrere ähnlichste Bedeutungen anzeigen lassen, wenn man die Zeilenausgabe entsprechend modifiziert. Umgekehrt lässt sich erreichen, dass bei hoher Schwellwerteinstellung in keiner Zeile der Matrix ein ausreichendes Summensignal gebildet, also keine Bedeutung angezeigt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn für ein Ereignismuster noch kein Lernschritt durchgeführt wurde. Offenbar wird durch dieses Modell eine einstellbare Zuordnung zwischen den Ereignissen und Bedeutungen realisiert, wobei die Extremwertbestimmung diese Zuordnung zur Anzeige bringt. Durch die Auswahl der Bedeutung wird die Lernmatrix aber eher belehrt, als dass sie selbst lernt. Außerdem ist die Codierung der Ereignisse eine wichtige Grundlage der Funktion. So zeigte sich sofort, dass eine automatische Buchstabenerkennung viel komplexer ist und deshalb einen deutlich größeren Aufwand erfordert als eine einfache Zuordnung zu Bildpunkten und deren Anordnung. Umstritten war bald der Name Lernmatrix, der zwar einprägsam und zielgerichtet ist, aber doch zu weit greift, vor allem wenn biologische Organismen und deren Lernverhalten assoziiert werden sollen. Leider blieben auch die erwarteten Ergebnisse im Hinblick auf die Lernfähigkeit automatisierter Geräte aus. Dennoch zeigte W. Hilberg später, dass die Lernmatrix ein damals verkannter Ansatz zu Netzstrukturen war, die als neuronale Netze heute die Basis der sogenannten Künstlichen Intelligenz bilden. Mithin kann Karl Steinbuch als einer unter deren Pionieren angesehen werden. Winfried Görke