Anonymes Protestschreiben an die Technische Hochschule Karlsruhe gegen die Entfernung des Professors für Geschichte Franz Schnabel aus dem Dienst, Eingang 19.10.1936. Generallandesarchiv Karlsruhe 235/2478.
Mit dem Anfang 1935 erlassenen »Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens« hatte sich das nationalsozialistische Regime ermächtigt, Lehrstühle umzuwidmen oder abzuschaffen. Struktur und personelle Besetzung der Hochschulen waren damit der Verfügung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unterworfen. Im Juni 1936 wurde an der Technischen Hochschule Karlsruhe der Historiker Franz Schnabel (1887–1966) von seinen Verpflichtungen entbunden. Mit seinen Publikationen war er als eine dem Nationalsozialismus distanziert gegenüberstehende Persönlichkeit erschienen. Offiziell wurde dieser Schritt mit der beabsichtigten Stärkung wehrtechnischer Inhalte im Fächerprofil der Technischen Hochschule begründet. Gegen Schnabels Entlassung protestierte eine mit der Maschine geschriebene und mit »Mehrere« unterzeichnete Postkarte, die am 10. Oktober 1936 bei der Hochschulleitung eingegangen war. Rektor Rudolf Weigel (1899–1955) leitete die in Ludwigshafen am Rhein aufgegebene Sendung an das vorgesetzte Kultusministerium »zur etwaigen weiteren Verfolgung durch die Gestapo«. So bemühte er sich, in dieser Sache mit eigener Initiative sichtbar zu sein. Nach seiner Entfernung aus dem Hochschuldienst lebte Schnabel von einem Ruhegehalt und arbeitete am fünften Band seiner Deutschen Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Das NS-Regime verhinderte die Publikation dieses Werks. Auf dem Campus Süd des KIT wird seit 1992 mit einer Gebäudebenennung an Schnabel erinnert. kn
Die knappe Protestnote zur Entpflichtung des Karlsruher Historikers Franz Schnabel mit dem Eingangsstempel des 19. Oktober 1936 wirft zahlreiche Fragen zum graustufigen Verhältnis von Konformität und Nonkonformität im NS-Wissenschaftssystem und zur Interdependenz von Durchherrschung, Selbstgleichschaltung und partieller Autonomiebehauptung der Universitäten im NS-Staat auf. Die NS-Wissenschaftsgeschichte hat in den letzten Jahrzehnten genau diese Vielschichtigkeit und Ambivalenz herausgearbeitet, indem sie weniger nach exemplarischer Verstrickung oder exemplarischem Widerstand als nach Handlungsspielräumen im Kontext fragt. Der 5-zeilige Protest in einem Satz ist von einem charakteristisch bürgerlich-akademischen Sinnstiftungsduktus getragen, der für sich die Autorität der Zuständigkeit in der Gelehrtenrepublik und die Deutungshoheit über sie reklamiert. Genau diese Haltung eines deutsch-nationalen Professorenpathos, das im »deutschen Volk« die höchste Legitimationsinstanz sieht und selbstverständlich im Namen Deutschlands spricht, hat die frühe Etablierung des Nationalsozialismus in der Karlsruher Studenten- und Professorenschaft gerade erst ermöglicht und gefördert. Der Protest richtet sich nicht gegen den Unrechtsstaat als solchen und den Rechtsbruch gegenüber dem Opfer Franz Schnabel, sondern gegen den Eingriff in die Standesrechte der Ordinarienkaste und gegen den Angriff auf ihr Selbstverständnis. Das drückt sich im Ton der gekränkten Selbstgefälligkeit aus, mit der dies als »[e]in Zeichen der Decadence Deutschlands im wissenschaftlichen Leben« interpretiert wird. Schnabel ist kein entrechteter Kollege und auch kein Mitmensch, sondern als »hervorragend[e] wissenschaftliche Kraft« ein zurückgesetzter Standesgenosse. Demgegenüber ist die Reaktion des Rektors weitaus politischer und moderner im Sinne des »Führerstaats«. Die Anregung der »etwaigen weiteren Verfolgung durch die Gestapo« ist ein Beispiel für das, was in der NS-Zeit »dem Führer entgegenzuarbeiten« genannt wurde. So entstanden Handlungsspielräume. Rolf-Ulrich Kunze