Kapitel 8

Die Universität Karlsruhe (1967–2009)

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Galgenstrick

Reepschnur mit Henkersknoten und Inventarmarke der Universität Karlsruhe, zwei Schreiben, 23.02.[1979] und ohne Datum. KIT-Archiv 28506/17. Fotografie: Amadeus Bramsiepe und Jonas Zilius.

Einen bitteren Scherz machte der aus den studentischen Mitgliedern im Großen Senat der Universität Karlsruhe gebildete Allgemeine Studentenausschuss im Jahr 1979 mit dem hier gezeigten Gegenstand. Anlass war ein Gesetz von 1977, mit dem die Allgemeinen Studentenausschüsse (AStA) als eigene Organe der baden-württembergischen Universitäten abgeschafft worden waren. Sorgen der Regierung Filbinger, politisch linksstehende AStAs würden allgemeinpolitisch wirken und womöglich die Terrorgruppe Rote-Armee-Fraktion unterstützen, hatten dazu geführt. Nach dem neuen Gesetz gab es nur noch den aus studentischen Mitgliedern im Großen Senat bestehenden Ausschuss »zur Förderung der sozialen, geistigen, musischen und sportlichen Belange« von Studierenden. Die vom abgeschafften AStA stammenden Gelder und Sachwerte mussten von der Universität vereinnahmt werden. Das nahmen Angehörige des neuen, sogenannten Senats-AStA zum Ansatzpunkt ihrer Aktion. Sie übersandten dem mit der Inventarisierung betrauten Universitätsmitarbeiter ein zum Henkersknoten geknüpftes Seil, das als angebliches AStA-Vermögen vordergründig zum Gegenstand seiner Inventarisierungsarbeit bestimmt war. Schon die Datierung ihres Begleitschreibens in einer eigenen, bei der Abschaffung der verfassten Studentenschaft ansetzenden Zeitrechnung stellt den Gegenstand des Unmuts heraus. Dass die Absender ihre — ansonsten bekannte — Identität in dem Schreiben durch Unterzeichnung per Fingerabdruck verschleierten, ist vielleicht Ausdruck des Bewusstseins, mit dem Henkersseil eine zivilisatorische Grenzlinie zu überschreiten. Der Angeschriebene zeigte sich der Situation gewachsen, indem er bei der Antwort das nominelle Versteckspiel durch Einkopieren der Fingerabdrücke in Adresszeile und Anrede aufnahm und seinerseits mit dem Abdruck eines Fingers zeichnete. Auch inhaltlich erwies er sich als unprovozierbar, indem seine Replik konsequent auf dem Terrain des Scherzes blieb. Im 35. Jahr nach dem Regierungseingriff wurde 2012 eine gesetzliche Grundlage zur Wiedereinführung von verfassten Studierendenschaften als Organen der baden-württembergischen Landesuniversitäten geschaffen. Der seit 2013 am KIT bestehende Allgemeine Studierendenausschuss pflegt die Erinnerung an die in der Zwischenzeit bestehende Interimslösung mit einem neben den gesetzlichen universitären Strukturen bestehenden Unabhängigen Studierendenausschuss. kn

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