Kapitel 7

Das Kernforschungszentrum und das Forschungszentrum Karlsruhe (1956–2009)

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Karlsruher Nuklidkarte

Karlsruher Nuklidkarte, 11. Auflage, bearbeitet von J. Magill, R. Dreher, Zs. Sóti, Karlsruhe 2022.

Die Karlsruher Nuklidkarte ist ein Ordnungsschema für die natürlich vorkommenden, durch Kernreaktionen oder Kernspaltung erzeugten oder durch radioaktiven Zerfall entstehenden Isotope aller natürlichen und künstlich herstellbaren Elemente. Sie enthält sämtliche derzeit bekannten Nuklide, deren Halbwertszeiten, Zerfallsarten und weitere Daten. Der Radiochemiker Walter Seelmann-Eggebert (1915–1988) und seine Mitarbeiterin Gerda Pfennig (1930–2017) entwickelten die Idee zur übersichtlichen Darstellung der Nuklide am Kernforschungszentrum Karlsruhe. Die erste Ausgabe ihrer Nuklidkarte erschien 1958, dem Gründungsjahr des von Seelmann-Eggebert geleiteten Instituts für Radiochemie. Die Karte war ein unabhängig von den kerntechnischen Zielen des Zentrums verwendbares Arbeitsergebnis. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Karte kontinuierlich ergänzt und erweitert, um die ständig wachsenden Erkenntnisse aufzunehmen und den Informationsbedarf der Kernphysik wie auch der Nuklearmedizin zu decken. Im Jahr 2006 übertrug das Forschungszentrum Karlsruhe alle Rechte und Aufgaben im Zusammenhang mit der Karte an das auf dem gleichen Gelände angesiedelte Joint Research Center (JRC) der Europäischen Kommission. Das JRC hat damit die Verantwortung dafür übernommen, dass die Karlsruher Nuklidkarte als ein weltweit genutztes Standardwerk weiterbesteht und auf dem neuesten Stand gehalten wird. as

Bilder

Fachkommentar

Die Karlsruher Nuklidkarte — Einblicke in ihre Geschichte

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es Deutschland erst seit 1955 wieder erlaubt, auf dem Gebiet der Kerntechnik und Radioaktivität zu arbeiten. Es bestand ein großer Bedarf an Ausbildung für die sich nun rasch entwickelnden Arbeitsgebiete der Kernphysik, Radiochemie und Reaktortechnologie. Professor Walter Seelmann-Eggebert wurde zum Direktor des Instituts für Radiochemie der 1956 gegründeten Kernreaktor Bau- und Betriebsgesellschaft mbH Karlsruhe und auf den Lehrstuhl für Radiochemie an der Technischen Hochschule Karlsruhe berufen. Von dem Institut wurden »Radiochemische Isotopenkurse« angeboten, und im Rahmen dieser Lehrtätigkeit entstand in Zusammenarbeit mit Gerda Pfennig die Karlsruher Nuklidkarte, welche die wesentlichen Eigenschaften der damals bekannten Nuklide darstellte. Neben Halbwertszeit und Zerfallsart waren dies die Energien der emittierten Teilchen und der häufigsten Gammastrahlen. Die erste Auflage von 1958 hatte die Form einer Wandkarte. Interessierten Institutionen auch im Ausland wurden damals mehrere tausend Exemplare zur Verfügung gestellt. Zusätzlich gab es eine Ausgabe in DIN-A4- Einzelblättern zur Benutzung am Schreibtisch. Diese erste Auflage umfasste 1.517 Nuklide von damals 102 bekannten chemischen Elementen. Aufgrund der großen Nachfrage wurde in den 1960er Jahren unter Mitarbeit von Professor Helmut Münzel und Gisela Zundel die zweite Auflage nebst weiteren Nachdrucken herausgegeben. Wegen der weltweiten Verbreitung der Nuklidkarte erschien die dritte Auflage 1968 mit viersprachigen Erläuterungen (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch). Bis 1998 veröffentlichten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Forschungszentrum Karlsruhe — Seelmann-Eggebert, Pfennig, Münzel und neu hinzugekommen H. Klewe-Nebenius — noch drei weitere aktualisierte Auflagen. Damit wurden in vier Jahrzehnten über 150.000 Wandkarten und über 200.000 Broschüren mit Faltkarten aufgelegt. Nachdem 2006 die Verantwortung für die Karte an das Joint Research Centre (JRC) der Europäischen Kommission übergegangen war, erschien noch im gleichen Jahr deren siebte Auflage unter der Autorschaft von J. Magill, G. Pfennig und J. Galy, nun mit sechssprachigen Erläuterungen — Russisch und Chinesisch kamen hinzu. Auf der Grundlage eines Lizenzvertrags wurde Anfang 2011 das Spin-off Nucleonica GmbH gegründet, das die Onlineversion der Karlsruher Nuklidkarte betreibt und die Druckversion verlegt. Im Jahr 2022 erschien die 11. Auflage, die nunmehr 4.122 experimentell nachgewiesene Nuklide von 118 chemischen Elementen enthält. Die Karlsruher Nuklidkarte erweist sich bis heute als gefragtes, interdisziplinäres Arbeitsinstrument, weil sie einen schnellen Überblick über alle Nuklide ermöglicht und die Nutzerinnen und Nutzer mit deren wesentlichen Daten versorgt. Ihre anhaltende Relevanz zeigt sich in den vielfältigen Ausführungen von den ursprünglichen Poster- und faltbaren Schreibtischversionen bis hin zu großflächigen Teppich-, Fliesen- und Wandversionen. Die Nuklidkarte ist von großer Bedeutung für die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen von der Archäologie – hier zum Beispiel für die C-14-Altersdatierung – über die Nuklearmedizin und Radiopharmazie bis hin zur Physik, hier insbesondere für die Astrophysik und die Kosmologie. Zsolt Sóti

Objektvorschlag

[…] Im Institut [für Radiochemie] wurden »radiochemische Isotopenkurse« angeboten, und im Rahmen dieser Lehrtätigkeit entstand die Karlsruher Nuklidkarte […]. Bei der Sanierung des Analytikgebäudes Radiochemie (Bau 341) wurde im Aufenthaltsraum eine Nuklidkarte in Form eines Mosaiks errichtet, um eine Erinnerung an dieses bedeutende Projekt zu schaffen. Ich persönlich war in der Zeit von 1982 bis 1989 in der Radiochemie Analytikgruppe Fr. Dr. Mainka angestellt. Frank Geyer

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