Kapitel 2

Die Polytechnische Schule (1825-1885)

021

Glasdia aus dem Verlag Bruno Meyer

Diapositiv einer grafischen Darstellung des Gemäldes "La Bella" von Tizian (1536), Verlag Bruno Meyer, 8,5 × 10,0 x 0,2 cm. KIT-Archiv 28002/872.

Bruno Ludwig Julius Boguslaus Meyer (1840– 1917) wurde 1874 als Professor auf den 1868 eingerichteten Lehrstuhl für Kunstgeschichte an das Karlsruher Polytechnikum berufen. Der aus Berlin stammende Meyer hatte sich bereits in jungen Jahren für Fotografie interessiert und erkannte schnell den Nutzen der neuen Technik des Skioptikons, eines frühen Vorgängers des Diaprojektors. Dieser lag darin, dass Vorträge ohne große Verzögerungen durch das Herumreichen von grafischen und fotografischen Reproduktionen vonstattengehen konnten, da das Bild zum Vortrag nun dem gesamten Publikum gleichzeitig sichtbar wurde. In Fachkreisen stießen solche Vorstöße allerdings auf Ablehnung. Mit der Berufung nach Karlsruhe trieb Meyer seine Idee weiter voran und begann aus eigenen Mitteln mit dem Aufbau einer Lichtbildsammlung. 1880 wurde ihm die Einrichtung eines Hörsaals mit Projektor und aller dazu erforderlichen Ausstattung bewilligt. Der Bedarf nach Dias mit Abbildungen von Kunstwerken wurde von Meyer ab 1883 selbst gedeckt, indem er einen Bildverlag gründete. Eine Rechnungsprüfung kam zu dem Schluss, dass Meyer von dieser Unternehmung finanziell profitiert habe, was dieser verneinte und in einen Streit mit seinem Dienstherrn münden ließ. 1884 reichte Meyer sein Gesuch um Entlassung aus dem badischen Staatsdienst ein. Er kehrte nach Berlin zurück, wo er sich um die Jahrhundertwende erfolgreich um eine Modernisierung des Urheberrechts für »Erzeugnisse der photographischen Technik« bemühte. Bald waren Lichtbildprojektionen nicht mehr aus dem kunstwissenschaftlichen Unterricht wegzudenken. Die daraus resultierenden Diatheken bilden nach wie vor einen zentralen Bestandteil des Lehrapparates. Seit den 2010er Jahren werden die Bildbestände der Diatheken digitalisiert und den Studierenden und Forschenden in Onlinedatenbanken zur Verfügung gestellt. Der Name Diathek blieb dabei in vielen Fällen erhalten. as

Bilder

Fachkommentar

Medieninnovation Lichtbildvortrag

Ende 1880 begann Bruno Meyer, Vorlesungen am Karlsruher Polytechnikum mittels Skioptikon zu illustrieren und implementierte so den kunsthistorischen Lichtbildvortrag in die universitäre Lehre. 1883 erschien sein 4.000 Einträge fassendes Verzeichnis der Glasphotogramme für den kunstwissenschaftlichen Unterricht, ein Katalog für Diapositive. Angesichts des Entwicklungsstands der Fotografie im Allgemeinen und der fotografischen Diaprojektion im Besonderen stellte deren Gebrauch durch die Kunstgeschichte eine Herausforderung dar, denn die frühe Fotografie hatte noch mit der orthochromatischen, das heißt der Vorlage entsprechenden Farbwiedergabe zu kämpfen, was unter anderem die Reproduktion von Gemälden erschwerte. Überdies gestaltete sich die fotomechanische Vervielfältigung fotografischer Vorlagen als schwierig. Für die Projektion schließlich waren Lichtechtheit sowie ein hoher Kontrastumfang zusätzliche Erfordernisse an die Diapositive. Meyer, der im Zuge des Projekts in Personalunion als Ordinarius, Fotograf und Bildverleger tätig geworden war, spezialisierte sich auf das aufwändige Verfahren des Kohledrucks, der sich in einer sepiafarbenen Tönung auf den erhaltenen, 85 × 100 Millimeter messenden Glasdiapositiven äußert. Einer Zeitkapsel gleich konservieren die sechs Glasphotogramme im KIT-Archiv die angerissenen Defizite der frühen Fotografie. Um das Problem der Graustufenwiedergabe zu umgehen, fotografierte Meyer Gemälde nach Stichen, womit sich das ältere Reproduktionsmedium in das neue technische Verfahren übertrug. Dies wird im Karlsruher Konvolut besonders deutlich, handelt es sich hier doch um Diapositive von Tizian-Stichen. Im Komplex mit dem Verzeichnis, das Aufschluss über die quantitative Verteilung des Angebots hinsichtlich der Epochen gibt, sind die Karlsruher Glasphotogramme somit nicht nur als ein Dokument der Fotografiegeschichte, sondern auch als Zeugnis der Medienentwicklung innerhalb der Kunstgeschichte sowie des Lehrkanons im 19. Jahrhundert anzusprechen. In materieller Hinsicht bestechen die Artefakte dahingehend, dass die an ihnen noch sichtbaren Spuren manueller Arbeit vom experimentellen Charakter des Projekts zeugen. Neben diesen objektspezifischen Eigenschaften ist Meyers Pionierleistung auf übergeordneter Ebene als Intervention in die universitäre Infrastruktur zu betrachten. Der neu angeschaffte Projektor und die Verdunklung des Vortragsraums im Komplex mit einer dimmbaren Gasbeleuchtung sollten ein neues Mediendispositiv in Kraft setzen, das die Kunstgeschichte nachhaltig geprägt und darüber hinaus gewirkt hat. Maria Männig

© 2025 KIT | Alle Rechte vorbehalten Impressum Datenschutz